Keitum. So also sieht die Zukunft auf vier Rädern aus. Vorn und hinten zum Verwechseln ähnlich, in der Mitte eine großzügig bemessene Einstiegstür mit zwei nach außen und zur Seite sich öffnenden Flügeln.
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Die obere Hälfte des kleinen Busses besteht fast gänzlich aus Glas – ideale Voraussetzungen, von Keitum wirklich alles zu sehen, bis hoch zu den mit Reet gedeckten Dächern. Um 16.30 Uhr soll die Fahrt an diesem Dienstag auf dem Parkplatz West starten. Mein achtjähriger Sohn Paul und ich sind spät dran, wir haben auf dem Weg vom Parkplatz hierher die Beine in die Hand genommen, sind auf die letzten beiden freien Plätze gefallen, sitzen uns jetzt gegenüber, umgeben von lauter Touristen, die die kostenlose Dorfrundfahrt gerne mitnehmen.
Drinnen in dem knuffigen Busschen ist es so hell wie draußen, ich schaue mich, ein wenig zur Ruhe gekommen, um. Die Anschnallgurte auf den Sitzen fallen auf, die Spannung steigt. Es ist ein bisschen wie in einem neuen Fahrgeschäft auf dem Hamburger Dom, von dem man schon einiges gehört hat, von dem man aber noch nicht weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nachher wieder aussteigt. Ein knallrotes Schild in dem Gefährt warnt vor starken Bremsmanövern, deshalb wohl die Gurte. Also doch ein bisschen Dom in Keitum…
„Die Fahrt dauert 22 Minuten.“ An der Seite sitzt Artur Rempfer von der Sylter Verkehrsgesellschaft (SVG). Er fährt den Bus nicht, er sitzt nur dabei und greift ein, falls der autonom fahrende Bus nicht das macht, was er soll. Viele Wochen lang hat ein Stab von Spezialisten den Bus so programmiert, dass er allein den Weg durch die engen Gassen des Dorfes findet. Mit Lasern tastet er sich durch sein Revier.
Rempfer drückt auf den Startknopf. Das blau lackierte Mobil ruckelt merklich an. Nach zwei, drei Metern wieder ein kurzes Geruckel und dann fährt der Bus tatsächlich ganz von allein durch Keitum. Nicht schnell und etwas ruckelig auf den ersten paar hundert Metern, aber auf Ideallinie. Stille Achtung.
Das Ding ist zur rollenden Touristenattraktion geworden. Drinnen sitzen die, die die Touristen draußen auf dem Gurtstig fotografieren. Und draußen die, die wie gebannt am Straßenrand stehen und fotografieren und filmen, was das Smartphone hergibt. So fasziniert war das ältere Paar vom Busschen ohne Fahrer, dass die beiden am Rand der Keitumer Hauptstraße einfach mit dem Handy vor den Augen stehenblieben. Artur Rempfer, der freundliche Busbegleiter von der SVG, bleibt ganz entspannt sitzen. Und plötzlich, der Bus nähert sich in bedächtiger Fahrradgeschwindigkeit dem Paar, steht das Ding. Von geschätzten 12, 13 Stundenkilometern auf Null in weniger als zwei Sekunden. Ich muss mich schnell festhalten. Über das abrupte Manöver erschrocken, hält sich ab dieser Sekunde immer eine Hand an irgendwas fest.
Auf seinen rund 2,7 Kilometern durch Keitum ist jetzt der Bereich unweit der Sölring Museen erreicht. Die engen Straßen werden zu noch engeren Gassen, der Bus ohne Fahrer ertastet sich langsam seinen Weg. Und steht bei allem wirklich ziemlich unvermittelt, was er nicht kennt, worauf er nicht programmiert ist. Ein parkender Wagen, der ein bisschen zu sehr auf der Straße steht – das Ding zieht eine kompromisslose Vollbremsung durch. Das kleine Mädchen auf dem Fahrrad, das dem Bus auch nur entfernt zu nahe kommt – Zack: der Bus steht. Das Mädchen lacht. Nochmal? Ich lächle zurück, während unser Gefährt die nächste Haltestelle ansteuert.
„Die Fahrten sind kostenlos, auch in den nächsten Wochen“, informiert Rempfer, der das batteriebetriebene, ziemlich leise fahrende Fahrzeug auf seiner kompletten Fahrt nicht einmal mit einem bereitstehenden Joystick korrigieren muss. Die Laser erkennen sämtliche Hindernisse zuverlässig, mein Vertrauen in die Technik steigt.
Dann, auf der C.-P-Hansen-Allee, geht‘s ein paar hundert Meter schnurgeradeaus. Das Busschen gibt jetzt alles, fährt mit 16 Sachen die Straße runter, „schneller fährt er in Keitum nicht“, sagt Artur Rempfer. Immerhin, so schnell ist ein gemütlich fahrender Radler auch unterwegs – und viel schneller kommt man eh nicht durch Keitum, schon gar nicht in der Saison, wenn noch mehr Touristen am Straßenrand stehen werden. Oder dem Bus einfach im Weg, weil sie nicht genug fotografieren können.
Nach knapp 22 Minuten steuert das Busschen den Keitumer Kreisel an, fährt ihn flüssig ab und steht am Ende zentimetergenau da, wo er vorhin abgefahren ist.
Das mitgefahrene ältere Ehepaar aus Siegburg schaut nach seiner ersten Fahrt in einem autonom fahrenden Bus etwas skeptisch: „Schnell ist er nicht unterwegs und die Bremsmanöver sind schon sehr abrupt“, zieht der Mitsechziger Bilanz. Seine Frau nickt. Paul, mein Sohn, fand die Fahrt hingegen „ziemlich gut so ohne Fahrer, aber die Geschwindigkeit ist nicht so hoch wie ich sie mir vorgestellt habe. Aber es ist auch spannend, in so einem Roboter unterwegs zu sein.“ Keitum hat seine neue Attraktion, keine Frage.
Sieht so also die Zukunft auf vier Rädern aus? Bis dahin ist es sicher noch ein weiter Weg. Aber ein Anfang auf diesem Weg ist gemacht. Und der hat in Keitum auf Sylt begonnen.
Heiko Wiegand Sylt Spiegel